Big in 日本

Things are easy when you're big in Japan

Studieren und Spazieren

Ein Kommentar

Ich bin nicht nur nach Japan gekommen, um Manga-Läden zu durchstöbern und mich durch die hiesige Küche zu futtern, sondern auch, um etwas zu lernen – zumindest rede ich mir das ein. Immerhin habe ich jetzt die Gelegenheit dazu, denn in der vergangenen Woche hat das Programm an meinem Studienort, dem „NCC Center for the Study of Japanese Religions“, offiziell begonnen. Der Einstieg war gleich ein Paukenschlag, denn nach einer kurzen Einführungsveranstaltung eröffnete Prof. Jeffrey Mensendiek das Programm mit einem sehr interessanten, aber auch erschreckenden Vortrag über die Lage in Fukushima. Als Amerikaner, der seit frühester Kindheit in Nordwest-Japan lebt, konnte uns Prof. Mensendiek einen tiefen Einblick in die Geschehnisse der letzten Jahre und vor allem die haarsträubende Vertuschungs- und Beschwichtigungspolitik der japanischen Regierung bieten. Mehr dazu auf seinem Blog: http://jeffreyfromjapan.blogspot.jp/

Nach solch schwerer Kost war die Zeit reif für etwas Zerstreuung. Gemeinsam mit den Dozenten des Centers gingen wir daher zum weiteren Kennenlernen in ein schickes und sehr traditionelles japanisches Restaurant. Kaum hatten wir auf den Tatami-Matten Platz genommen, sprach der ehrwürdigste (also älteste) der Anwesenden das „Kanpai“ und jeder prostete sich zu. Anschließend machten wir uns über die Köstlichkeiten her, die nun nacheinander hereingetragen wurden, darunter frittierte Meeresfrüchte, marinierter Tofu und Fisch in süßer Sojasauce. Die Rückenschmerzen, die mir das lange Sitzen auf dem Boden bescherte, spülte ich mit japanischem Bier und erstklassigem Sake (Reiswein) runter. Da es in Japan sehr üblich ist, nach dem anstrengenden Tag im Büro beim Essen und Trinken mit den Kollegen die sonst so strikte Hierarchie aufzulockern, verliefen unsere Gespräche mit den Dozenten sehr fröhlich und in entspannter Atmosphäre. Insgesamt also ein absolut gelungener Abend, den wir Studierende mit einem ersten Gang in eine Karaoke-Bar noch abrundeten.

Das eindrucksvolle Haupttor des Schreins

Das eindrucksvolle Haupttor des Schreins

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen

An den nächsten Tagen war dann tatsächlich vorerst Schluss mit den wilden Gelagen, stattdessen erwartete uns die Vorbereitung auf das Studienprogramm in Form einer allgemeinen Einführung in die japanische Glaubenswelt. Erfreulicherweise war der Unterricht trotzdem nicht allzu trocken, denn auf die graue (aber sehr interessante!) Theorie am Vormittag folgte stets eine kleine Exkursion zu einer passenden religiösen Stätte. Nach der Sitzung über Shinto und die japanische „Folk Religion“ fuhren wir beispielsweise zum rund 1400 Jahre alten Shimogamo-Schrein, an dem wir das Gelernte überprüfen und uns den typischen Aufbau eines Schreins anschauen konnten.

Am darauffolgenden Tag ging es dann zum Eikan-do Tempel im Osten Kyotos, der (wie auch der Tempel im letzten Bericht) zum in Japan weit verbreiteten Reines-Land-Buddhismus (auch Amidismus, auf Japanisch jōdo-shū) gehört. Aus religionswissenschaftlicher Sicht ein äußerst spannender Trip, da der Tempel uns einen tiefen Einblick in den japanischen Buddhismus und vor allem die Lehren des Amidismus bot, beispielsweise die ausgeprägte Verehrung des Stifters Honen, dessen Halle größer und prächtiger war als die des Buddha selbst, oder die eindrucksvollen Vorstellungen vom paradiesischen Reinen Land Amidas, in das die Gläubigen nach ihrem Tod hineingeboren zu werden hoffen.

Auf einzigartige Weise bezieht die Architektur des Tempels die angrenzende Landschaft mit ein

Auf einzigartige Weise bezieht die Architektur des Tempels die angrenzende Landschaft mit ein

Besonders aber waren wir allesamt von der Ästhetik des Eikan-do beeindruckt. Malerisch an einem dicht bewaldeten Berghang gelegen, ist der Tempel vor allem im Herbst, wenn die zahllosen Ahornbäume in leuchtendem Rot erstrahlen, ein wunderschöner Anblick. Aber auch jetzt im Spätsommer, wenn sich das Blattwerk allmählich zu verfärben beginnt, bietet sich ein herrliches Fotomotiv.

Sinnbild für die Verbundenheit von Natur und Religion: Eine Gottesanbeterin auf dem Haupt einer Jizo-Statue

Sinnbild für die Verbundenheit von Natur und Religion?

Tatsächlich ist es vor allem jener Einbezug der Natur, der mich bisher bei den religiösen Stätten Japans besonders fasziniert. Die Tempel legen viel Wert auf die Pflege wunderschöner Gartenlandschaften, die als Sinnbilder des Reinen Landes (Amidismus) oder Mittel zur Meditation (Zen) dienen und eng in die gesamte Architektur integriert werden. In den Schreinen wiederum wird die Natur selbst zum heiligen Ort, den man symbolträchtig durch ein Tor ohne Mauer oder Dach betritt. Anders als in Kirchen oder Moscheen, die häufig dunkel und kalt wirken und die Natur vor der Tür lassen, wird in den religiösen Bauten Japans die Kraft der Wildnis mit einbezogen, ist Gegenstand von Kontemplation und Gebet. Gerade in der Dämmerung, wenn die Touristenmassen verschwunden sind, Vogelgezwitscher und Grillenzirpen die Luft erfüllt und aus den nahen Gebäuden Trommelschläge und Sutra-Rezitationen dringen, herrscht an jenen Orten eine wahrhaft magische Atmosphäre.

Ein Kommentar zu “Studieren und Spazieren

  1. Danke für die wunderbar beschriebenen Stationen während Deines Japan-Aufenthaltes. Ich habe das Gefühl, dabei zu sein, wenn ich das lese. Alles Liebe von Mama

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