Big in 日本

Things are easy when you're big in Japan

Im Apartment des Todes

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Im Apartment-Friedhof

Im Apartment-Friedhof

„Autsch!“ Der Schmerzensschrei von unten ist im ganzen Haus zu hören. Wieder einmal hat sich jemand den Kopf an einer der viel zu niedrigen Türen gestoßen. Platz ist eine Mangelware im dicht bevölkerten Japan, die so effizient ausgeschöpft wird wie möglich. Für große Zimmer mit hohen Decken ist da selten Platz. Kein Wunder also, dass sich hier mittlerweile nicht nur die Lebenden, sondern auch die Toten in winzige Wohnungen zwängen müssen. Angesichts horrender Friedhofsgebühren können sich viele Familien nur noch ein so genanntes „Apartment-Grab“ für ihre verstorbene Verwandtschaft leisten. Eine bizarre Vorstellung, von der ich mir dank einer Einladung meiner guten Bekannten Keiko vor kurzem selbst ein Bild machen konnte.

Der Plastik-Altar mit elektrischen Kerzen

Der Plastik-Altar mit elektrischen Kerzen

Im Westen Kyotos, unweit des berühmten Kiyomizu-dera, befindet sich der Jodo-Shin-Shu Tempel Otani Honbyo (auch Nishi Otan-ji). Das Heiligtum beherbergt nicht nur das Mausoleum von Shinran, dem Gründer dieser buddhistischen Schulrichtung, sondern auch die Gräber von zahllosen Gläubigen. Naja, „Gräber“ ist eigentlich das falsche Wort. Es handelt sich vielmehr um kleine Schließfächer mit den Überresten der Verstorbenen, die sich über einen siebenstöckigen Gebäudekomplex erstrecken. Tatsächlich erinnert der Anblick eher an Bahnhofsschließfächer oder an eine Tiefgarage als an einen Friedhof. Wer hier seine Angehörigen besuchen möchte, fährt zunächst mit dem Fahrstuhl in den jeweiligen Stock und durchquert dann endlose Gänge mit absolut identisch aussehenden Schrank-Gräbern. Am richtigen „Schließfach“ angekommen, kann in der Mitte des Schrankes ein kleiner Altar geöffnet werden, der alle Utensilien für die Verehrung der Ahnen bereithält, inklusive elektrischem Räucherstäbchen-Anzünder. Als Keiko nach der Durchführung des Rituals das Fach mit den Urnen ihrer Verwandten öffnete, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, dass ich mich inmitten von sieben Stockwerken aus Leichenresten befand…

Vom leichten Grusel einmal abgesehen, empfand ich die Vorstellung, die letzte Ruhestätte in einem größtenteils aus Plastik bestehenden Schließfach ohne Zugang zur Natur oder Tageslicht zu finden, nicht gerade angenehm. Doch Gräber sind in Japan sehr teuer und oft schwer zugänglich auf Bergen gelegen, weswegen der Apartment-Friedhof verständlicherweise für viele Familien eine beliebte Alternative darstellt. Damit ich aber noch einen anderen Eindruck vom Tod in Japan bekommen konnte, machten wir uns anschließend auf den Weg zu einem „richtigen“ Grab beim Kiyomizu-dera. Der dortige Friedhof ist einer der größten des Landes und die letzte Ruhestätte für einen anderen Teil von Keikos Familie, dem wir hier unseren Respekt zollten. Nach japanischer Sitte übergossen wir den Grabstein mit Wasser (angeblich sind die Toten immer durstig), zündeten Räucherstäbchen an und schmückten das Grab mit Zweigen. Zum Schluss sprach Keiko noch ein Gebet. Insgesamt eine weit schönere Zeremonie als kurz zuvor im Apartment-Friedhof…

Der gigantische Friedhof in der Nähe des Kiyomizu-dera

Der gigantische Friedhof in der Nähe des Kiyomizu-dera

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