Big in 日本

Things are easy when you're big in Japan

Glockenschläge statt Feuerwerk

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Ein Priester unter der Tempelglocke

Ein Priester unter der Tempelglocke

Am Silvesterabend, eine gute Dreiviertelstunde vor Mitternacht, finden wir uns beim Tempel Kurodani im Osten Kyotos ein. Einige Priester schenken heißen Tee aus und vor dem Glockenturm stehen ein paar Menschen Schlange, ansonsten ist noch kaum jemand da. Auch wir stellen uns an und warten im Schein der aufgestellten Fackeln auf den Beginn der Zeremonie. Über uns leuchtet der Mond in kaltem Glanz, graue Wolken ziehen vorbei. Mit der Zeit füllt sich das Tempelgelände und immer mehr Stimmen durchbrechen die nächtliche Stille. Schließlich werden wir von Priestern in festlichen Roben auf den Glockenturm geführt und das Ritual nimmt seinen Anfang. Hoch oben über den Dächern Kyotos rezitieren die Geistlichen mit festen Stimmen das Herz-Sutra, legen die Hände zum Gebet aneinander und beginnen dann, einer nach dem anderen, die Tempelglocke zu läuten. Kurz vor Mitternacht lässt ihr heller Klang die Nachtluft erzittern, der erste von insgesamt 108 Schlägen. Die Zahl symbolisiert die 108 Versuchungen, die zum Erreichen des Nirwana überwunden werden müssen. Nachdem alle Priester an der Reihe waren, dürfen auch wir nach vorne treten und gemeinsam die Glocke läuten. Anschließend steigen wir vom Turm und blicken auf die Uhr: Punkt Mitternacht. Akemashite Omedetou, frohes neues Jahr.

Happy New Year!

Happy New Year!

Acht Stunden bevor in Deutschland 2015 mit lautem Jubel und knallenden Sektkorken begrüßt wird, beginnt das neue Jahr für mich in Japan ohne Party oder Feuerwerk, in aller Stille. Ein komisches Gefühl, Silvester auf diese so ganz andere Art zu verbringen, doch würde ich den böllernden Wahnsinn in Deutschland jederzeit wieder gegen die andächtige Ruhe dieses Abends eintauschen. Ich habe mich darum bemüht, den Jahreswechsel so authentisch wie möglich zu feiern und die vielen japanischen Neujahrs-Traditionen zu würdigen. Mit diesem Eintrag möchte ich euch einige dieser typischen Bräuche näherbringen.

Ein stressiges Ende

Bis Ende Dezember war die Welt für mich noch in Ordnung. Japaner lieben Weihnachten und genauso wie in Deutschland kann man sich spätestens ab dem ersten Advent vor Kitsch kaum noch retten: Weihnachtsmänner, Weihnachtsmusik und Weihnachtsbäume wohin das Auge (bzw. das Ohr) reicht. In Osaka und Tokyo gibt es sogar deutsche Weihnachtsmärkte, inklusive Glühwein und Bratwurst. Doch ganz anders als in der Heimat ist Weihnachten hier kein familiäres Fest der Liebe, sondern eher ein Fest der Liebenden, das möglichst mit dem Partner bei einem guten Essen (am besten bei KFC – kein Witz!) und/oder im Love-Hotel gefeiert wird. Eigentlich gar nicht schlecht, immerhin habe ich Weihnachten in diesem Jahr ohne meine Familie, dafür aber mit meiner Freundin Inna verbringen können.

Doch während der Weihnachtsbaum in Deutschland oft noch bis zum Frühjahr auf seine Entsorgung warten muss, wird in Japan bereits am 25. Dezember alles heruntergerissen, was auch nur im Ansatz weihnachtliche Stimmung verbreiten könnte. Stattdessen fährt man nun die Neujahrsdeko auf, und zwar im großen Stil: Wunderschöner Türschmuck aus Reisstroh und buntem Papier, Skulpturen aus Bambusstämmen (kadomatsu), Doppel-Mochi (Reiskuchen) mit Orangen-Zierde (kagami mochi), lange Zweige mit weißen und rosafarbenen Perlen – kurzum, alle Wohnungen und Geschäfte erstrahlen im Glanz der bevorstehenden Feiertage. Darüber hinaus begegnet man nun vielerorts Figuren und Bildern des Tieres, dem das neue Jahr laut chinesischem Kalender gewidmet ist – im Falle von 2015 also dem Schaf.

Hier einige Impressionen der prächtigen Neujahrsdeko:

Vor der Ruhe der Festtage wartet auf viele Japaner erst einmal der Stress der Neujahrsvorbereitungen. Neben der Dekoration steht vor allem ein gründlicher Hausputz an, denn das neue Jahr sollte selbstverständlich in einem ordentlichen Heim willkommen geheißen werden. Des Weiteren müssen kleine und große Geldgeschenke (otoshidama) für die lieben Kinder ausgeteilt sowie Neujahrskarten (nengajo) für die gesamte Verwandtschaft geschrieben werden. Die japanische Post verspricht, alle Karten pünktlich am 1. Januar auszuliefern, wozu jedes Jahr etliche zusätzliche Mitarbeiter angeworben werden müssen. Sobald alle Arbeiten erledigt sind, macht man sich auf den Weg in die Heimat. Ganz ähnlich wie Weihnachten bei uns ist Neujahr in Japan in erster Linie ein Familienfest.

Ein entspannter Anfang

Osechi

Osechi-ryori

Mit dem Sonnenuntergang am Silvesterabend findet die arbeitsame Zeit ihr Ende. Viele Menschen treffen sich nun mit ihren Kollegen zu einer Jahresabschlussparty (bonenkai), um den Stress und die Streitigkeiten der letzten Monate abzulegen und auf den Neubeginn anzustoßen. Im Anschluss findet man sich der Familie ein, isst Toshikoshi-Soba (lange Nudeln, die ein langes Leben symbolisieren) und guckt gemeinsam im Fernsehen Kōhaku Uta Gassen, einen alljährlichen Wettstreit zwischen den bekanntesten Sängern und Sängerinnen Japans. Kurz vor Mitternacht geht es dann traditionellerweise zu einem Tempel, um, wie oben beschrieben, mit 108 Glockenschlägen das alte Jahr auszuläuten. Viele jüngere Menschen ziehen heute jedoch den Besuch einer wilden Silvesterparty dem abendlichen Tempelgang vor. Eigentlich schade, denn zumindest aus meiner Sicht war der Jahresausklang am Tempel ein wunderschönes Erlebnis – und sehr unterhaltsam, vor allem dank eines kleinen Zwischenfalls, der eine Fackel, einen vergessenen Rauchmelder und jede Menge japanische Feuerwehrmänner beinhaltete…

Der erste Schreinbesuch bei heftigem Schneetreiben

Der erste Schreinbesuch bei heftigem Schneetreiben

Noch in derselben Nacht brechen viele Menschen (und auch wir) zum ersten Schreinbesuch auf, um für Glück und Gesundheit im neuen Jahr zu beten, Glücksbringer zu kaufen und Weissagungen zu ziehen. Wer es mit der Tradition sehr genau nimmt, unternimmt ansonsten zu Neujahr keine anderen Anstrengungen, schließlich sollen die Götter nicht durch frühzeitige Hektik erzürnt werden. Aus diesem Grund bestehen auch die traditionellen Neujahrsgerichte (osechi-ryori) aus lange haltbaren Speisen, die noch vor dem 1. Januar vorbereitet werden können. Nichtsdestotrotz machten wir uns am nächsten Tag zu einem gemeinschaftlichen Essen im Restaurant auf und genossen die herrlichen Speisen, die man nur zu dieser Jahreszeit vorgesetzt bekommt.

Als wir nach dem Essen aus dem Laden traten, hatte sich die Welt um uns herum verändert: Ganz Kyoto erstrahlte in schneeweißer Pracht und unser anschließender Besuch beim Heian Jingu und Shimogamo Jinja wurde zu einem echten Erlebnis. Vorbei an zahllosen Buden, die wie bei einem Volksfest Essen und Trinken anboten, wanderten wir im dämmrigen Licht des ausklingenden Tages durch die verschneiten Schreinanlagen, kauften Glücksbringer und sprachen ein kleines Gebet für ein gutes neues Jahr. Immerhin, der Anfang war schon einmal ein voller Erfolg.

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