Big in 日本

Things are easy when you're big in Japan

Reisetagebuch (7): Im Reich der Schneehasen

Hinterlasse einen Kommentar

Ein Yuki Usagi

Ein Yuki Usagi

Dunkelrote Augen, lange grüne Ohren, ein unförmiger Körper – sobald es in Japan zu schneien beginnt, wagen sich seltsame Wesen auf die Straßen und werfen vorbeiziehenden Wanderern neugierige Blicke zu. Wenn der Schnee nicht zu fallen aufhört, vermehren sie sich rasant und sind bald in ganzen Rudeln anzutreffen. Doch trotz ihres furchteinflößenden Äußeren sind die Yuki Usagi in der Regel harmlos. Ich spreche aus Erfahrung, denn obwohl es mich auf dem letzten Abschnitt meiner Reise in den schneebedeckten Norden Japans verschlagen hat und ich vielen Exemplaren dieser merkwürdigen Kreaturen begegnet bin, konnte ich stets mit heiler Haut davonkommen.

Eingekapselt

Eingekapselt

Bevor ich jedoch in das Reich der Schneehasen eingedrungen bin, habe ich zunächst einen Zwischenstopp in Tokyo gemacht. In der Landeshauptstadt konnte ich nicht nur in Erinnerungen schwelgen und erneut an Daddelautomaten abräumen, sondern mir auch einen ganz besonderen Traum erfüllen: den Besuch eines Kapsel-Hotels. Gleich nach meiner Ankunft am Bahnhof Shinjuku habe ich mich auf den kurzen Weg zu meiner ungewöhnlichen Herberge gemacht und mit einer Mischung aus Neugierde und Furcht eingecheckt. Doch allen Sorgen zum Trotz hat mich das Hotel wirklich positiv überrascht. Die Kapsel war zwar für jemanden von meinen Ausmaßen ein wenig kurz und zudem recht lauschig, bot insgesamt aber erstaunlich viel Komfort und war geräumig genug, um aufrecht darin sitzen zu können. Darüber hinaus verfügte das Hotel über eine gemütliche Lounge und einen sehr luxuriösen Badebereich. Etwas unpraktisch war lediglich, dass man jeden Tag aus- und wieder einchecken musste und das Gepäck nicht vor Ort lagern konnte.

Sonnenschein

Affentheater in Nikko

Nach einer erholsamen Nacht in meiner Kapsel machte ich mich endlich auf den Weg nach Norden. Mein Ziel hieß Nikko-shi, die „Sonnenschein-Stadt“. Trotz dieses sommerlichen Namens waren die Straßen und Dächer des rund 140 Kilometer nördlich von Tokyo gelegenen Ortes bei meiner Ankunft von dichten Schneemassen bedeckt. Zu Fuß durchquerte ich diese winterliche Szenerie und erreichte bald die berühmten historischen Anlagen im Nordwesten des Städtchens. Vorbei an einer heiligen Brücke und verschiedenen kleineren Schreinen und Tempeln gelangte ich schließlich zum zentralen Heiligtum, dem Nikko Toshogu. Der zum UNESCO Weltkulturerbe erklärte Schrein wurde 1617 erbaut und ist dem ruhmreichen Reichseiniger Tokugawa Ieyasu gewidmet, der hier auch seine letzte Ruhestätte gefunden hat.

Nikko Toshogu

Das prächtige Hauptgebäude des Nikko Toshogu

Kaum hatte ich das große Torii am Eingang des Schreins passiert, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus: Ein prachtvolles Gebäude reihte sich hier an das nächste, wo man auch hinblickte Meisterstücke verschiedener Baustile. Die zahllosen kunstvollen Schnitzereien und Ornamente schienen regelrecht um die Gunst der Besucher zu wetteifern, überboten sich gegenseitig in ihrer Farbenpracht und Detailliertheit. Fast hätte ich inmitten dieses Wettbewerbs eines der berühmtesten Kunststücke übersehen: Die Schnitzerei von den drei Affen, die nichts Böses hören, nichts Böses sprechen und nichts Böses sehen. Natürlich ließ es sich der Chefaffe nicht nehmen, hier eine kleine Fotosession abzuhalten.

Immer noch etwas fassungslos angesichts der mich umgebenden Pracht betrat ich schließlich das bei meinem Besuch leider von Gerüsten umgebene Haupttor des Schreins. Als ich jedoch wieder ins Freie trat wurde ich buchstäblich geblendet von der strahlenden Schönheit, die sich vor mir offenbarte. Von weißem Schnee umgeben und im grellen Licht der Wintersonne funkelnd, ergoss sich vor meinen Augen ein Meer aus Gold und Elfenbein, dessen Fluten sich hoch auftürmten zu einem unendlich prunkvollen Bauwerk. Die eben noch unnachahmlich wirkende Pracht der anderen Gebäude war auf einen Schlag vergessen. Ich brauchte lange Zeit, um mich an diesem Anblick sattzusehen.

Nachdem ich mich endlich von dem prächtigen Hauptgebäude losreißen konnte, besuchte ich noch das dahinter gelegene, überraschend schlichte Grab Tokugawa Ieyasus sowie verschiedene andere Tempel und Schreine. Obgleich der überwältigende Anblick des Nikko Toshogu noch immer nachwirkte, haben mich auch viele dieser Heiligtümer, vor allem das Grabmal des dritten Tokugawa-Shogun Iemitsu, sehr beeindruckt.

Hier noch einige Impressionen aus dem wunderschönen Nikko:

Schneegestöber

Die nächtliche Altstadt von Takayama

Die nächtliche Altstadt von Takayama

Kaum hatte ich die Pracht der „Sonnenschein-Stadt“ einigermaßen verarbeitet, ging es mit dem Zug durch die wundervolle Landschaft der japanischen Alpen nach Takayama. Die als „Kleines Kyoto“ bekannte Stadt liegt im Zentrum der Hida-Region, die für hervorragende Handwerker und erstklassigen Sake berühmt ist. Ebenso wie Nikko zeigte sich mir auch Takayama im weißen Schneegewand und es fielen bei meiner Ankunft dicke Flocken vom Himmel. In der winterlichen Atmosphäre machte ich mich sogleich auf zu einem langen Spaziergang durch die wunderschöne Altstadt, besuchte Läden für Kunsthandwerk und lokale Spezialitäten und machte sogar eine Tour durch eine Sake-Brauerei mit, inklusive anschließender Verköstigung.

Hoba Miso

Hoba Miso

Am Abend machte ich mich dann in einem kleinen Restaurant mit der hervorragenden Küche der Hida-Region vertraut. Aufgrund der harten Winter haben sich die Menschen in den japanischen Alpen auf lang haltbare Speisen wie Misopaste oder Eingelegtes spezialisiert und diese recht einfache Kost zu ausgefeilten Gerichten verarbeitet. Eine besondere Spezialität ist hierbei Hoba Miso. Bei diesem Gericht wird ein Magnolien-Blatt über einem kleinen Grill ausgebreitet und darauf eine Mischung aus Miso, Gemüse, Pilzen, Eiern und Fleisch vermischt und gebraten. Dazu gibt es Reis und verschiedene eingelegte Köstlichkeiten – ein wahres Festmahl!

Am nächsten Tag machte ich mich auf zu der wohl größten Attraktion Takayamas, dem Hida no Sato. Das Freilichtmuseum beherbergt zahlreiche traditionelle Bauernhäuser aus der ganzen Hida-Region, die hier wiederaufgebaut und zu einem Dorf zusammengefügt wurden. Das Ergebnis ist ein gerade im Winter wunderschöner, aber auch sehr lehrreicher Blick auf Japans Vergangenheit. In den Häusern, in denen sehr atmosphärisch echtes Feuer brennt, erfährt man viel über das entbehrungsreiche Leben der japanischen Landbevölkerung, lange bevor Heizungen und Waschmaschinen für Komfort sorgten.

Nach dem Besuch des Hida no Sato verließ ich schließlich das „Kleine Kyoto“ und somit auch das winterliche Reich der Schneehasen. Doch wer weiß, vielleicht taucht im nächsten Winter ja auch in meiner Heimat Göttingen der eine oder andere Yuki Usagi auf…

Hinterlasse einen Kommentar